In meinem Blog vom 7.08.2010 habe ich mich mit der Frage befasst, was eigentlich der Unterschied zwischen einem kundenindividuellen und einem orthopädischen Mass-Schuh ist. Wie nennen sich aber eigentlich diejenigen, die Mass-Schuhe herstellen? Dazu möchte ich einen Blick in die Vergangenheit machen und daraus die Wandlung des Begriffes Schuhmacher aufzeigen.
Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts war es noch einfach, man konnte sagen: Der Schuhmacher macht Schuhe. Gemäss den damals üblichen persönlichen Zunftzwängen und Hofrechten haben sich die Schuhe herstellenden Schuhmacher, die das zünftige Gewerbe repräsentierten, von den nichtzünftigen, meist ländlichen, reparierenden Berufskollegen abgegrenzt. Einige gängige Bezeichnungen für Schuhmacher in der deutschen Sprache waren: Suter (aus dem lat. sutor), Rintsuter oder Rintschuster, Kurdewener und Corduaner (abgeleitet von Cordobaleder), Schuhwart, etc.
In England nannten sich die dem Métier zugehörigen Schuhmacher Cordwainers in Anlehnung an das damals geschätzte Cordoba-Leder. Die zunftfremden Schuhreparateure nannte man Cobbler, während die Engländer unter cobbled soviel wie "zusammengebastelt" verstehen. Dieses sprachliche Abgrenzungsmuster, das in der deutschen Sprache dem "Schuhmacher/Flickschuster" entspricht, finden wir auch im italienischen calzolaio/ciabattino, wo man ciabattino auch mit Pfuscher übersetzen kann während calzolaio der Schuhmacher war/ist. In Frankreich's Ancie Régime kannte man neben dem Bottier und Cordonnier den Begriff Savetier, der eine ähnlich abwertende Färbung zu haben schien, heutzutage aber nicht mehr üblich ist. Savate lässt sich als "alter Schuh" wiedergeben.
Die Zunftverfassungen behielten das Recht der Herstellung von Schuhen in ihren meist städtischen Einflussgebieten den Schuhmachern, Bottiers, Cordwainers und Calzolaio vor. Wer dieses Zunftrecht nicht hatte wurde allenfalls als reparierender Schuhmacher geduldet und war ein Altmacher, Altreisse, Störer oder Pfuscher, damals synonym für ausserzünftige Handwerker, meistens Teilzeit- oder Landhandwerker. Speziell für die Schuhwirtschaft gab es viele weitere lokale Begriffe, z.B. (nach H.A. Berlepsch, Chronik des ehrbaren Schuhmachergewerk, St.Gallen 1880) niedersächsisch "Scholapper" und "Schuhblätzer", mitteldeutsch "Rister", plattdeutsch "Oldrüse". Deren Arbeit konnte von den Zünften nicht kontrolliert werden und war ihnen deswegen suspekt. Die Schuhflicker waren zu den verschiedenen Zeiten und Orten unterschiedlich in die Organisationen des Métiers mal mehr, mal weniger integriert. Vielleicht hing es davon ab, ob eine Wirtschaftskrise herrschte oder Hochkonjunktur. Ein Beispiel: am 24. Mai 1740 beschloss der Senat von Frankfurt, keine Schuhflicker mehr [in die Innungsrolle] einzuschreiben.
Interessant ist der häufig genannte Begriff des Pfuschers in diesem Zusammenhang. Einerseits bedeutet es in der Wortherkunft "schlechte Arbeit" (Breslau, 1572, Mittelhochdeutsch). Noch heute bezeichnet man aber im Rheinland einen [P]fuscher auch jemanden, der in der Schule abschreibt und in Österreich versteht man unter Pfusch illegale Arbeit. Goethe hat den Spruch "Jemandem ins Handwerk pfuschen" geprägt. Hier kommt die Bedeutungsnähe zum unerlaubten oder unkonformen Verhalten zum Ausdruck, welches mit "unordentlicher Arbeit" im Sinne von geringer Qualität verbunden wird. Pfusch und Pfuscher waren Begriffe der Abgrenzung.
In England hat sich die Begriffsbedeutung heutzutage dahin verändert, dass sich ein Cordwainer als Mass-Schuhmacher versteht und sich damit von der industriellen Massenproduktion abgrenzt. Cordwainer und Shoemaker sind Synonyme. In Deutschland und Österreich nennen sich die Mass-Schuhe herstellenden Fachleute Maßschuhmacher, so auch in der Schweiz, wo jedoch häufig ebenso der französische Begriff Bottier benutzt wird. Bottier wird in der deutschen Sprache oft fälschlich als Stiefelmacher übersetzt, er stellt jedoch den klassischen [luxus] Massschuh- oder Orthopädie-Massschuhmacher dar.
Seit die Schuhmacher mit dem Ende des 19. Jahrhunderts endgültig die Rolle der Schuhherstellung an die Industrie abgegeben haben, gehört der deutsche Begriff Schuhmacher mehrheitlich den Servicefachleuten um Schuh und Fuss, also den reparierenden Schuhmachern. Dieselben betreiben häufig, sofern sie das Métier gelernt haben, auch Schuhhandel, Einlagenherstellung, Kleinorthopädie und vieles mehr. Die neue "zünftische" Grenze verläuft, seit die Versicherungen Leistungen an orthopädische Mass-Schuhe erbringen, zwischen Schuhmachern und Orthopädieschuhmachern. Letztere sind heute diejenigen, die zur Lieferung von orthopädischen Mass-Schuhen zugelassen sind, wobei man nicht vergessen darf, dass sich etliche Schuhmacher ausserhalb von Versicherungsleistungen im Markt der Mass-Schuhherstellung behaupten können und diesen immer noch (oder sogar vermehrt) bedienen. (Mehr dazu in einem späteren Blog)
Die Bedeutung von Begriffen kann sich, wie wir sehen, mit der Veränderung der wirtschaftlichen Rolle, verschieben. Das wird auch in der Zukunft so sein.
Bis bald
Patrick Winkler
PS: Nennen Sie ihren Schuhmacher oder Schuhservicefachmann nicht "Flickschuster", das wird meistens Abwertend aufgefasst.
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