Mittwoch, 26. Mai 2010

Nachhaltigkeit

Heute will ich mich mit dem Aspekt der Nachhaltigkeit bei der Herstellung orthopädischer Schuhe auseinandersetzten. Auf unseren Betriebsalltag übertragen heisst Nachhaltigkeit, dass die unternehmerischen Bedürfnisse von Heute befriedigt werden ohne die Entwicklungsmöglichkeiten zukünftiger Nachfolger zu gefährden. Dieses Verhalten setzt voraus, dass ich in die Zukunft blicke, etwaige Entwicklungen abschätze und in die strategische Planung einbeziehe.

Was müsste ich zum Beispiel tun, wenn ich sehen würde, dass in einem Dienstleistungsbereich die Preisdiskrepanz zum Ausland mehr und mehr zunimmt und meine Fallzahlen gleichzeitig abnehmen? Wenn es auf der anderen Seite aber gleichzeitig immer schwieriger wird, genügend Fachkräfte im eigenen Land für diesen Bereich zu finden und ich Mitarbeiter im Ausland rekrutieren muss? In einem solchen Fall bleibt mir nur noch die Entscheidung, mich entweder aus diesem Tätigkeitsfeld zu verabschieden oder neue Wege zu beschreiten. Ein Verharren im herkömmlichen Stand der Technik und Verfahren wäre nicht nur unopportun sondern geradezu ökonomischer Raubbau an mir selber.

Deshalb engagieren wir uns in verschiedenen Bereichen, um die Nachhaltigkeit unseres Wirtschaftens im schwerorthopätischen Dienstleistungsbereich zu gewährleisten:
  • Engagement für die Entwicklung neuer Modelle der Herstellung und Anpassung orthopädischer Schuhe


  • Engagement zum Umweltschutz (weniger Kunstharzverbrauch durch CAM, bessere Material- und Energiebilanz durch zentrale Herstellung)


  • Engagement zur Effizienzsteigerung der eigenen Produktionsleistung (Herstellungskooperation)


  • Engagement in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung, besonders im Bereich des Kundenservice und Leistendesign


  • Engagement für faire und transparente Preise bei schwerorthopädischen Leistungen (AGB)
Diesen Weg zu beschreiten ist zwar nicht der Einfachste, für die Perspektiven nachfolgender Handwerkergenerationen und für die Erhaltung eines spzialisierten Know-hows aber der Bessere.

Bis bald

Patrick Winkler

Dienstag, 25. Mai 2010

Pes planovalgus

Heute will ich etwas über den Knickplattfuss schreiben. Der lateinische Name steht in der Überschrift: Pes planovalgus. Plano steht für platt, valgus für das Einwärtskincken. Es gibt verschiedene Ursachen für diese Fehlform wie zum Beispiel Überlastung durch Übergewicht, Schwächung oder Abriss der Tibialis posterior Sehne, rheumatoide Arthritis oder spastische Lähmung (siehe Abb. unten).

Der Knickplattfuss entsteht durch die Abflachung des Längsbogens des Fuss-Skeletts und einer Pronation des Fersenbeines. Die Knöchelgabel dreht sich dadurch nach Innen und verschiebt die Richtung des Sprungbeines. Die Kraftübertragung der Fussbeuger auf den Fuss wird dadurch zunehmend ungünstig und die Gelenkbelastung einseitig. Kraftverlust, Rückfussinstabilität und Schmerzen sind oft die Folgen.

Als konservative Behandlungsmittel werden in einfacheren Fällen Physiotherapie und Einlagen zur passiven Stützung des Fussgewölbes angewandt, in schweren Fällen sind Orthesen oder orthopädische Mass-Schuhe indiziert, wie bei dem neurogenen Knickplattfuss auf dem Bild unten.














Abb: Neurogener Knickplattfuss

Bis bald
Patrick Winkler

Freitag, 21. Mai 2010

Erwartungen

Was würden Sie denken, wenn Ihr Arzt heute zu Ihnen sagen würde, dass Sie ab jetzt orthopädische Mass-Schuhe tragen müssten? Würden Ihnen die Haare zu Berge stehen? Würden Sie aus der Praxis flüchten?
Die Frage war natürlich ungenau gestellt weil Sie den Leidensdruck eines nicht operierbaren Fusshandicaps nicht eingeschlossen hat. Wahrscheinlich würden Sie unter diesen Vorbedingungen abwägen zwischen einer verbesserten und beschwerdenfreieren Mobilität und der ästhetischen Erscheinung. Das ist das Spannungsfeld, in dem wir als Anbieter von orthopädietechnischen Lösungen stehen: Wie viel ästhetische Kompromisse müssen wir machen und wie viele technische Kompromisse können wir machen damit die Schuhe erfolgreich sind, von unseren Kunden angenommen und auch getragen werden. Darüber gibt es bereits Studien (Williams, van Netten). Eine Studie, für den Laien vielleicht erstaunlich, kam zum Schluss, dass für den Versorgungserfolg mit therapeutischen Schuhen nicht die technische Funktionalität im Vordergrund steht sondern die Übereinstimmung der Erwartungen des Patienten mit dem Resultat.

Ein weiterer Punkt in dieser Problematik ist die Wahrnehmung: Welche Attribute fallen Ihnen als Erste zum Begriff „orthopädischer Mass-Schuh“ ein? Ein Redner am Orthopädie + Reha-Technik Kongress am 14.05.2010 in Leipzig hat es auf den Punkt gebracht: „ … viele Kunden denken zuerst an schwarze, schwere und klobige Schnürstiefel“. Natürlich ist das heute nicht mehr so schlimm, die Technik hat in diesem Feld grosse Fortschritte gemacht. In meinen Blogs „Ästhetik“ und „Kosmetik“ von April 2010 bin ich auf das Thema eingegangen.

Darum ist es wichtig, dass wir unsere Kunden in den Vorgang einer Schuhversorgung eng einbeziehen. Der Kunde sieht die Form des Leistenmodells, die die Form der Schuhe abbildet, er spricht mit bei der Gestaltung des Modells, der Farben und Werkstoffen. Wichtig ist, dass am Ende die Erwartung eines Kunden mit dem übereinstimmt, war er bekommt. Und er muss dennoch kein schlechtes Gewissen wegen den Kosten haben, diese Schuhe kosten kein Vermögen. Darum bemühen wir uns.

Bis bald.
Patrick Winkler

Dienstag, 18. Mai 2010

Hallux valgus

Der Hallux valgus ist der medizinische Fachausdruck für den Schiefstand der Grosszehe, wobei valgus die Richtung bezeichnet. Als Ursache wird in den medizinischen Publikationen meistens der Spreizfuss genannt. Eine Ursache dafür kann falsches, also zu enges, kurzes und/oder spitzes Schuhwerk mit zu hohen Absätzen sein. Andere Faktoren wie Beindegewebseigenschaft, Art und Intensität der Belastung und Belastungsdauer spielen aber auch eine Rolle.

Auf was man bei Schuhkauf achten sollte: Einerseits braucht die Balle genügend Volumen, andererseits darf die Ferse nicht zu breit sein. Weil Hallux-valgus-Leidende meist auch Einlagen tragen müssen, sollte der Schuh zudem für Einlagen geeignet sein. Das kann ganz schön kompliziert werden, Betroffene wissen das.
Die Problematik liegt darin, dass sich die Proportionen des Fusses verschieben. Das Verhältnis von Rückfussbreite zur Ballenweite verändert sich so, dass Schuhe, die im Vorderblatt passend sind, in der Hinterkappe zu locker werden und der Fuss den Halt verliert. Da kommt man um eine Schaftanpassung (lokales ausweiten) nicht herum. Ich habe immer wieder Kunden, die können Ihre gewohnten Schuhe gar nicht mehr anziehen ohne ein wahres Martyrium zu erleiden. Dort ist der Punkt, wo eine Schuh-Massanfertigung angebracht ist. Besonders dann, wenn schmerzhafte Druckstellen an der Fuss-Sohle dazukommen. Solche Kunden können in der Regel keine anderen Schuhe mehr anziehen als solche, die über ihren individuellen Leisten hergestellt wurden.

Abb. oben links: Bei dieser Hallux valgus Deformation kommen konfektionierte Spezialschuhe nicht mehr in Frage, das Verhältnis von Ballen- zu Fersenbreite ist zu unterschiedlich. Weil der Fuss an sich nicht schmerzhalft ist wird er auch nicht operiert. Die eleganteste Lösung sind Mass-Schuhe.

Mehr können Sie hier erfahren.

Sonntag, 16. Mai 2010

Orthopädie + Reha-Technik 2010

Eine ereignisreiche Woche liegt hinter mir. Vom 10.-15. Mai fand in Leipzig die internationale Orthopädie + Reha-Technik Messe statt. Diese zweijährlich stattfindende Messe und Kongress ist die grösste orthopädietechnische Fachveranstaltung in Europa. Am Samstag, 15.05.2010 hatte ich einen Vortrag zum Thema digitale Technologie für orthopädische Schuhherstellung.

An jenem gut besuchten Symposium war ich nicht der einzige, der über den Einsatz und Erkenntnisse im Feld von 3D-Scan und CAD-CAM Technik sprach. Man sieht, dass das Thema bearbeitet und diskutiert wird. Insgesamt stelle ich so etwas wie eine vorsichtige Zustimmung fest. Es kommt mir vor, wie am Vorabend des Personal-Computer-Zeitalters, als man eine Ahnung davon hatte, dass die mechanische Schreibmaschine bald ausgedient haben wird, aber man noch nicht genau wusste, was ein PC denn so leisten kann. Was ich bei meinem nächsten Referat noch besser darstellen muss sind die Standardprozeduren, mit denen wir arbeiten. Oder anders gesagt: Wie ich eine bestimmte Einstellungen in eine gescannte Fussoberfläche bringe.

CAD-CAM kann ja offiziell in der Schweiz im Tarifbereich der OSM nur bei einfachen Fällen klappen. Bei „komplexen“ orthopädischen Fällen werden die Versicherten von Amts wegen vor einer modernen Technik geschützt. Wo man in anderen Ländern davon ausgeht, dass es egal ist, welche Technik und Methode zum Ziel führt, hat man in der Schweiz also eine Innovationsbarriere aufgestellt.

Gerade im Bereich des Leistendesigns finde ich es sehr wichtig, dass dem Handwerker eine gewisse Regelmässigkeit der Anpassungen von Leistenmodellen bleibt, egal mit welcher Methode er arbeitet. Ich befürchte, dass die allgemein rückläufige Tendenz der Verordnungen von Massanfertigungen, die sehr teure und exklusive Positionierung am Markt und eine rigide technische Herstellungsvorschrift zu Know-how Verlust und dadurch zu einer Verringerung der Marktteilnehmer und lokaler Lieferantenmonopole führen wird. Ist das so gewollt?

Kommentare zu diesem Blog sind möglich und gerne gesehen, im Ortho-Portal Forum oder als Kommentar zu diesem Blog.

Bis bald
Patrick Winkler

Sonntag, 9. Mai 2010

Pes equinovarus

Im Blog vom 24. April 2010 habe ich versprochen, auf das Thema der „pathologischen Zustände“ von Füssen einzugehen. Der Begriff steht im Tarif OSM für orthopädieschuhtechnischer Arbeiten und meint, dass an einem Fuss etwas nicht in Ordnung und damit jemand handicapiert ist. Ich will heute mit einer neurogenen Fehlfunktion anfangen.

Der Pes equinovarus (oder auch: Pes varus) ist ein Fuss, der nach lateral, also auf die Aussenseite abkippt und dadurch instabil ist. Verursacht wird er beim Erwachsenen meist durch eine Störung der Nervenversorgung mit Schwächung der Preonaeus-Muskelgruppe oder mit Überfunktion des Tibialis posterior Muskels.

Das Ziel einer konservativen Versorgung beim Erwachsenen ist die Erhaltung der Stabilität und Belastbarkeit im Rückfuss. Die Intensität der Dysbalance kann sehr unterschiedlich sein. In schweren Fällen müssen wir entweder Unterschenkelorthesen oder hohe Mass-Schuhe machen, in leichteren Fällen können wir durch eine gezielte Beeinflussung durch Fussbettung und Statikaufbau mit Halbschuhen behandeln. Das ist für den Träger/in am angenehmsten und sieht am wenigsten auffällig aus.

Abbildung: Diese Patientin konnte bislang nur hohe Stabilschuhe tragen. Aber auch diese verursachten immer Druckstellen am Knöchel. Durch einen gezielten lateralen Gegendruck im Fussbett und eine genaue Abgrenzung am Aussenknöchel kann sie nun auch leichte Halbschuhe anziehen, was im Sommer viel angenehmer ist.

Bis bald
Patrick Winkler

Samstag, 8. Mai 2010

Griechische Fussform

Man spricht derzeit viel über Griechenland, über den drohenden Staatsbankrott und Strassenproteste. Auch als Ferienland ist Griechenland und sind vor allem die griechischen Inseln sehr beliebt. Wussten Sie aber, dass es auch eine griechische Fussform gibt? Etwa 20 Prozent der Menschen haben diese natürliche Formgestalt, bei der die zweite Zehe länger ist als die Grosszehe. Wenn es um die Schuhe geht, spielt die Fussform im Längen-Weiten System der Leistennormen eine Rolle. Die Zehen dürfen die Spitze der Vorderkappe des Schuhes nicht berühren, sonst droht sich die Zehe mit der Zeit zu krümmen. Deshalb eignen sich in diesem Fall Schuhe mit einer rund zulaufenden Schuhspitze und keine breiten, abgeflachten Naturformen.

Griechische Fussform
Bis bald
Patrick Winkler

Montag, 3. Mai 2010

Moderne Technologie in der Orthopädieschuhtechnik

Optische 3D-Scanner sind Geräte, die die Oberfläche eines Körpers abtasten und ein digitales Bild davon erzeugen. CAD-CAM Werkzeuge sind Programme und Geräte, mit deren Hilfe man die 3D-gescannten Oberflächen bearbeiten und auf ein Werkstück übertragen kann.
Diese Techniken sind in der Orthopädietechnik schon weit verbreitet. Man setzt sie unterstützend ein bei der Herstellung verschiedenster Hilfsmittel wie Einlagen, Schuhleisten, Sitzschalen, Rumpforthesen, Kompressionsversorugnen, Prothesenschäfte und mehr.
Diese Technologie wird jedoch den Sachverstand des Orthopädiehandwerkers nicht ersetzten. Derartige Vorstellungen von einer Maschine, die selbständig eine individuelle orthopädietechnische Versorgung erfüllen kann, muss man leider ins Land der Wünsche verweisen. Es braucht immer beides: Das Wissen und Können des Fachmannes und die optimale Arbeitsmethode. Das ist für uns unter anderem die digitale Technik.

Bis bald
Patrick Winkler

Sonntag, 2. Mai 2010

Rahmengenähte Schuhe

Ich habe meine Berufstätigkeit mit einer Handwerkerausbildung der traditionellen Art begonnen und gehöre zu jener Generation von Orthopädieschuhmachern, die das Rahmennähen und andere alte Techniken noch von der Picke auf gelernt haben. Wenn ich mich recht erinnere war ich im letzten Kurs, der in der Lehrabschluss- und Meisterprüfung noch darauf geprüft wurde.
Es gibt unterschiedliche Techniken, wie man früher den Schuhboden (die Sohle) mit dem Schaft (der Oberteil des Schuhes) durch Handnähte verbunden hat. Der Calceologe Serge Volken aus Lausanne hat ein wunderbares Buch darüber herausgegeben. Bei der Technik des rahmengenähten Schuhes wird die Brandsohle (die Sohle im Schuhinneren) mit dem Rahmen (Rand am Schaftumschlag) vernäht. Wir haben dazu Hanfgarn verwendet, den wir mit Pech verwachst und eingedrillt hatten. Als Nadel haben wir Schweineborsten eingedreht. Schweineborsten sind standfest und dennoch elastisch und lassen sich gut durch das mit der Blattahle (die früher auch Pfriem genannt wurde) gestochene Loch zwischen der Rangierung der Brandsohle und der Kerbe des Rahmens führen.
Heutzutage kommen von Hand rahmengenähte Schuhe eher selten vor. Es gibt aber noch Schuhmacher, die diese Tradition pflegen und Schuhe mit solchen Macharten anbieten. Durch-, rahmen- oder flexibelgenähte Macharten gibt es zwar noch auf dem Markt, das sind aber meistens Maschinennähte.
Manchmal können Sie mich an historischen Festen treffen, wo ich den sogenannten Kuhmaulschuh in einer nachgebildeten Zunftschuhmacherei des 16. Jhd handnähe. Die Werkstatt ist eine Nachbildung einer Zeichnung des Künstlers Jost Amman von 1568 und ist Eigentum einer E. Zunft zu Schuhmachern in Basel. Das letzte Mal war ich für die Vereinigte Zünfte zur Gerwe und Schuhmachern am Mittelaltermarkt auf dem Münsterhof in Zürich.

Vereinigte Zunfte zur Gerwe und Schuhmachern am Spectaculum 2008, Zürich


Bild: Spectaculum auf dem Münsterhof in Zürich, 21.08.2008, Vereinigte Zünfte zur Gerwe und Schuhmachern

Bis bald
Patrick Winkler